Regie Heinz Kirchner
Bühne Berthold Brunn
Musik Daniel Stenger
Ein Mörder Albrecht
Sylla
Eine Tante
Sabine Grant-Siedel
Eine Mutter Johanna
Serg
Ein kleines Dorf in Oberfranken: In den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts tötet ein Jugendlicher seine Tante. Er flieht und versteckt sich in einem alten Schäferkarren. Zwei Wochen nach der Tat wird er schließlich in Frankfurt am Main aufgegriffen und festgenommen. Bei den Verhören stellt sich heraus, dass er von der Getöteten jahrelang sexuell missbraucht worden war. Heinz Kirchners Drama nimmt einen authentischen Fall auf und versucht zu ergründen, wie es zu so einer schrecklichen Tat kommen kann und wie die Innenwelten eines zum Mord Getriebenen beschaffen sein könnten.
Stadttheater
Donnerstag, 5.2.09 (Premiere)
Freitag, 6.2.09
Samstag, 7.2.09
Dauer ca. 90 Minuten (ohne Pause)
Einführungsvortrag jeweils um 20:00 Uhr
Die Kälte. Das Schweigen. Die Berührung.
Heinz Kirchners "Burkersdorph" als beeindruckendes Drama über den Ursprung menschlicher Katastrophen
(Main-Echo/Aschaffenburg)
So be- und erdrückend ist die Kälte, dass das Publikum die in solchen Szenen übliche Reaktion ganz einfach vergisst: Einen anzüglichen Witz machen die Beiden auf der Bühne in der gespielten Erinnerung an der Mutter begeistertes Lecken am Eis - "Gelernt ist eben gelernt". Und kein Mensch auf der Tribüne lacht, die Zuschauer sitzen und schweigen.
Es ist der Moment, in dem sich die Güte dieses Stückes zeigt, das der Hösbacher Lehrer und Regisseur Heinz Kirchner für sein ab:art-theater geschrieben hat und das am Donnerstagabend auf der Studiobühne im Aschaffenburger Stadttheater seine Uraufführung hatte: "Burkersdorph - Ein Mörder" erhält seine Bestätigung nicht zuvorderst durch den Schlussapplaus, der Wert des Stücks dokumentiert sich in der eindringlichen Berührung des Publikums.
Um so bemerkenswerter sind die Leistungen der beiden Schauspieler Albrecht Sylla und Johanna Serg sowie des Regisseurs, als eine Woche vor der Premiere des für drei Personen angelegten Dramas die Darstellerin Sabine Grant-Siedel krankheitsbedingt ausschied - nach vier Monaten Proben. Die 21 Jahre alte Johanna Serg muss für ihren ersten öffentlichen Auftritt überhaupt neben der Rolle einer jungen Mutter die der wesentlich älteren Großtante übernehmen: ein Einschnitt in das Spiel, das Kirchner mit dem Einflechten gelesener Monologe und Johanna Serg mit großem Selbstbewusstsein und Einfühlungsvermögen hervorragend heilen und nicht nur kitten.
"Burkersdorph", die scheinbar unnötige Schreibweise des real existierenden Dorfs Burkersdorf im oberfränkischen Kreis Kronach, ist ein Projekt, über das Kirchner in den vergangenen Jahren immer wieder gesprochen hatte und das er zunächst in einen Prosatext goss. Typisch für Kirchner ist der persönliche Bezug zu eigenen Stücken: Im eiskalten Winter 1978 tötete in Burkersdorf ein junger Mann seine Großtante, die ihn über Jahre hinweg sexuell missbraucht hatte - in dem Haus, in dem Kirchner von 1954 bis 1958 seine Kindheit verbrachte. Und so ergeben sich weitere für Kirchner-Stücke typische Aspekte: Auslöser der auf realen Katastrophen basierenden Dramen sind Jugendliche, die in extreme Formen des Erwachsenen-Spiels Sex geraten.
Aus der Erzählung "Burkersdorph" ist auf Anregung des in großartig ungeschlacht-zärtlicher Anbiederung spielenden Sylla und nach einem Besuch an Originalschauplätzen in dem 400 Einwohner zählenden Ort - dem Kirchner einst heimatlichen Gehöft, der Dorfwirtschaft und dem Eiscafé, in dem der Mörder einst sternschnuppenkurzes Glück mit (s)einer Mutter erlebte - ein Drehbuch entstanden. Das läuft den langen Schicksalsweg zu diesem Mord in szenischen Darstellungen des Täters während der polizeilichen Verhören, in Tagebucheinträgen der Großtante und in Erinnerungsblitzen der Mutter.
Explosionswellen
Geschickte Kunstgriffe, mit denen der Autor zum einen die Chronologie der Ereignisse aufheben und sich Zeitsprünge erlauben kann, zum anderen das Spiel Johanna Sergs nicht unter deren jugendlicher Erscheinungsweise und Stimme leidet. Im Gegenteil: Erst so erschließt sich dem Betrachter die Motivation einer vermeintlich gefühlskalten, tatsächlich jedoch überforderten 15jährigen Mutter; erst so begreift er die scheinbar unschuldigen und doch so verheerenden Wünsche einer in der von Manneswillen dominierten dörflichen Hierarchie nie zurecht gekommenen Frau.
Insofern ist "Burkersdorph" auch ein Stück, das für die künstlerische Arbeit Kirchners steht: "Wenn wir ?Heimat? über die Sichtweise ?Entfremdung? betrachten, dann ergibt sich zweifellos ein anderer Blickwinkel: Unter diesem Aspekt - dem schleichenden Verlust von etwas Persönlichen - ließe sich die Frage, ob ich Heimatliteratur schreibe, positiv beantworten", hat der Regisseur über ein anderes seiner Stücke - "Haiymaath" - einst im Gespräch mit der Redaktion gesagt.
Es ist allerdings eine Heimatliteratur, die sich jede Idyllisierung versagt und die im vorliegenden Fall eine dörfliche Gemeinschaft als den fauligen Bodensatz der Gesellschaft zeigt: Schmerzhafter anzuhören als des Mörders beiläufige Erwähnungen seines immer bedächtigeren Quälens und Abschlachtens von Tieren ist das nicht minder nüchtern vorgetragene Schulterzucken von Mutter und Großtante über die fordernde Geilheit einer Männerwelt.
Die Menschen in Burkersdorf sollten sich darüber nicht entsetzen, ganz plötzlich ergibt die leicht abgewandelte Schreibweise des Dorfnamens seinen Sinn. Einen Tag vor der Premiere wurde bekannt, dass die acht Jahre alt gewordene Kardelen aus Paderborn in der Wohnung eines Nachbarn missbraucht und ermordet wurde - und es lässt sich nur fassungslos spekulieren, warum ein 29 Jahre alter verheirateter Mann so etwas tut. Was Heinz Kirchner sagen will: Es gibt solche entsetzlichen Zufälle und es ist die Leistung des Publikums zu sehen, wie schnell wir selbst Explosionswellen verursachen können. Dass sich bei der Premiere von "Burkersdorph - Ein Mörder" das Publikum von der Kälte hat greifen lassen: Das ist eine ganz große Bestätigung dieses Stücks.
Stefan Reis/Main-Echo